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 Neunzehntes Kapitel. Die Mūrti-Pūjā

 

 

Wir geben dem Leser eine kleine Übersetzung aus der Śakti-gitā, über Dyāna und Stuti handelnd, wo die Gottheit als allmächtige Mutter besungen wird. Sie lautet: 

Vor der Götter Augen hob sich, aus des Dunkels schwerem Kranz

auf in wunderbarem Leuchten höhenwärts ein Sphärenglanz.

Millionen Sonnen löschend, hob sich aus der goldnen Flut

eine Göttermaid, viellieblich wie ein sechzehnjährig Blut.

 

Schön zu schauen, wie noch niemals je ein Auge Schönres sah,

Ambikā die Göttermaid war, die der Götter Aug' war nah,

mit vier Armen, steingeschmückten, die da Schling' und Schlegel faßten,

Sicherheit und Huld für alle, die in ihrem Dienst nicht rasten,

Auf des Höchsten Nabellotus, dessen Form sie Śiva heißen

thronte sie, die Welten in das Dasein, in das Nichts läßt kreisen.

Deva's, ṣi's, Pitṛ's beugte sich als Stützen unters Lager,

auf dem hingestreckt lag Śiva, er der Götter Schlachtenwager.

Aug dem Antlitz lag der Göttin ernstgestimmt ein süßes Lächeln,

vor dem Welten schauernd beben, wie im Wind die Palmen fächelnd.

Schweigsam thront sie, nur sie hauchet hin den heil'gen Laut des Om,

der die weiten Welten wandelt um in einen großen Dom.

 
            

Jenseits aller Schöpfungskräfte ist sie doch in allen Wesen,

ihre Hulden mild zu schenken denen, die sie hat erlesen.

Sein, Geist, Wonne ist ihr Wesen, Eines ohne Zweites seiend,

und doch Zweiheit, jedem Dasein höchste Seligkeit verleihend.

Vor dem Brahma-Selbst die Götter nicht die Augen konnten wenden,

nun sie nahten sich, die Hohe grüßend, mit erhobnen Händen:

 

 

 


             

   Śiva-Göttin, Trösterin milde

allen, die dir Ehre erweisen,

deren Wesen kein Geist kann umfassen,

Worte nicht mögen dich würdig zu preisen.

 

         

   Doch unsrer Seelen machtschwellendes Sehnen,

will in Worten dein Wese aussprechen,

unergründlich und unermeßlich,

habe Mitleid mit unseren Schwächen.

 

         

   Du nur kannst uns Verzeihen gewähren,

Große Mutter, du Brahman-Hohe,

dich wir grüßen, deren Erbarmen

uns umlodert wie Lichteslohe. 

 

         

 

Höher du thronst als der Allerhöchste,

Selbst du, der Weltprinizpien Verächter;

Einheit von Geist und von Sein du; doch Zweiheit

in dem Vereinen beider Geschlechter


          

   Anfangslos ewige Schöpfungen rollen

ins Dasein, du bist ihr mächtger Rufer;

Schönheit und Liebe drin jubeln und ebben

jauchzend an ewiger Freude Ufer.

 

         

Du öffnest dein Aug', und in buntem Wirbel

tanzen vorüber die Weltengebilde,

ein Spiel des Ew'gen, sie kommen und gehen

in zahllosen Reihen, o Mutter, du Milde!

 

  Dein Schöpferspiel rufet die Welten ins Dasein,

schleudert sie wieder ins Nichts und Verderben,

dich wir verehren, allmögende Herrin.

Ein Augenblick - Welten werden und sterben.

         

  

         

 

   Formlos du stehest jenseits der Formen,

jenseits der Sinne und Sinnesgestalten,

Eines du bist und ohne Zweites,

alldurchdringend, dich zu entfalten:

 


          

Zeigst Du dich, Mutter, in Form und Gestalten

deinen Verehrern in nachsichtiger Milde,

ihnen das höchste Gut zu verleihen,

du Dreischöpfungsweisen-Gebilde.

 

         

   Keine Grenze ist deiner Hulden,

da du schaust auf das Nicht-Verstehen

deiner Verehrer, der sinnbetörten,

die dein wahres Wesen nicht sehen.

 

Mit Gnadenblicken gewähres du ihnen

deinen Anblick, du Gnadensonne,

hüllend dich in Gestalten und Formen,

ihnen bringend Seligkeitswonne.

         

  

         

 

   Nicht wir Götter und nicht die Dämonen,

nicht die Menschen dein Wesen erkennen,

Meer der Gnade, du Allerhöchste,

Dreiguṇa-Form wir in Ehrfurcht dich nennen.

 


          

Gnadenmeer du, deine Verehrer,

von des Unwissens Mächte getrieben,

irren zweifelnd herum um dein Wesen;

wer auch hätt' es je würdig beschrieben!

 

         

   Doch weigerst du ihnen nicht deine Nähe,

deren Strahlen die Armen erwärmen,

wenn  sie um deine Lotusfüße

trunken in Liebe wie Bienen schwärmen.

 

   Die dich verhren als Viṇu und Gaurī,

Sūrya, Dhīśa, Śiva, die Götter,

in dem Kampfe der Himmel und Höllen

bist du uns nahe als mächtigster Retter.

         

  

         

 

Unsere Schwäche mit Stärke umhüllend,

zwingest du nieder die Götterverächter,

bannest aus siegreichen Himmelswelten

finstrer Dämonen Verzweiflungsgelächter.

 


          

Wenn der Dharma des Rechts und der Tugend

wankt und berstet in Schutt und in Trümmer,

führst du die Guten, zermalmst du die Bösen,

läßt Tugend erstehen dein Gnadenschimmer.

 

         

   Wenn Nationen dem Abgrund zu taumeln

steigst du vom Himmel, führergewaltig

im Volk, auf dem Schlachtfeld, in Todesgrauen,

als einer der Fünfgottzahl, viṇu-gestaltig.

 

   Deinen Getreuen du gibst das Verstehen,

daß sie als Brahmaform dich erkennen,

daß sie als  Īśvara rühmend dich preisen,

daß sie als Virāj dich nennen:

         

  

         

 

   Sie die in Glaube und Liebe dir dienend,

selbstlos und wunschlos in dich sich versenken,

sinnend des Wortes: "tat tvam asi", das

letztes Ziel ist in allem Gedenken.

 


          

Herrin , du Brücke der Mantra's und Sprüche,

du der Schöpfung, der Veda's Quelle,

du des heiligen Oṃ-Lauts Tönen

dich wir grüßen, o Gnadenhelle. 

 

         

   Du beschirmest das heilige Wissen

durch die ṣi's; des Karman Walten

durch uns, die Götter; die sterblichen Welten

läßt du durch die Pitṛ's gestalten.

 

 

   Du bist das Sein, das noch nicht sich entfaltet,

du bist das Nichtwissen, die Jīva's betörend,

du bist das Sein, tausendformengestaltig,

du bist Wissen, Kaivalya gewährend.

 

         

  

         

 

   Du bist Turīja, das Höchstexistieren,

Brahman-Selbst wir dich, Hehre, heißen,

Svāhā, Svadhā,Vaṣaṭ-Form du,

Göttermutter, wir alle dich preisen.

 

 


          

   Jeder Weltenkalpa dich siehet

als Sarasvatī, schirmend das Wissen,

kündend die Veda's den heiligen ṣi's,

die sich dir weihen geistesbeflissen.

 

         

   Aus des Gāyatrī-Verses Schächten

zwingst du die Mantra's hinein in die Veden,

aus dem Sāvitrī-Versen du schüttest

Mächte und Kräfte in Opfer und Reden.

 

 

Deinen Bekennern gibst Heil du und Segen

hier und dort drüben, nach Sehnen und Büßen;

die du verleihst das heilige Wissen,

Göttermutter, wir alle dich grüßen ²).

 

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Indiens Religion, der Sanātana-Dharma, Eine Darstellung des Hinduismus, übersetzt und erläutert vom Kapuziner-Pater Pater Josef Abs, erschienen bei Kurt Schroeder in Bonn/Leipzig, Neunzehntes Kapitel - Die Mūrti-Pūjā, Seite 125 bis 128

 



 


         

 

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